Ausgerechnet Alaska! – Ein Rückblick

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„Das Paris des Nordens an der alaskanischen Riviera“, so wird dem jüdischen New Yorker Arzt Joel Fleischman die Stadt Cicely angepriesen, in der er die nächsten vier Jahre seines Lebens verbringen soll. Denn der Staat Alaska hat sein Medizinstudium finanziert. Voller Vorfreude und über einige Schleichwege kommt Joel also nach Cicely und erleidet direkt eine herbe Enttäuschung, denn der Ort entpuppt sich als marodes Hinterland-Kaff und seine Bewohner als ein Haufen exzentrischer Spinner. Wie soll er es dort nur 4 Jahre aushalten?

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Sich selbst zur High Society New Yorks zählend, weicht diese Existenz in Cicely dermaßen von Fleischmans Vorstellung eines zufriedenstellenden Lebens ab, dass er direkt wieder weg möchte. Doch das stellt sich nicht als einfach heraus, denn die Bewohner akzeptieren und integrieren ihn gegen seinen Willen direkt in die Gemeinde. Unter den Bewohnern Cicelys lernt Joel im Verlauf der folgenden Tage, Wochen, Monate und Jahren die schrulligen Charaktere immer besser kennen. Da ist zum Beispiel seine Sprechstundenhilfe Marilyn Whirlwind, eine wortkarge Indianerin, die alles immer als erstes weiss, obwohl sie eigentlich nie aktiv kommuniziert. Das absolute kommunikative Gegenteil stellt Radiomoderator Chris Stevens dar, der neben einem unglaublichen Wissensschatz über Kultur, Literatur und Philosophie nebenbei noch Künstler, Frauenschwarm und Priester mit krimineller Vergangenheit ist.

BildMit der Buschpilotin Maggie O´Connell verbindet Dr. Fleischman von Anfang an eine Hassliebe. Es kommt zu regelmäßigen Begegnungen der beiden, die stets in aufgeladenen Diskussionen enden, in denen Joel Maggies Verhalten als Männerhass deutet, wohingegen Maggie ihn stets küchenpsychologisch analysiert und ihm Geiz und Kleingeistigkeit bescheinigt. Zudem hat Maggie noch ein großes Problem: Jede Beziehung die sie bisher zu einem Mann führte, endete damit, dass ihre Partner unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen. Lastet gar ein Fluch auf der jungen Frau? Sie und die Bewohner Cicelys glauben jedenfalls fest daran.

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Philantropischer Wohltäter der Stadt ist der ehemalige Astronaut Maurice Minnifield. Mit Hilfe seines Geldes versucht er sich im Laufe der Jahre an mehreren ambitionierten Investitionen um die Stadt zu verschönern. Seien es eine Straußenfarm, ein Golfplatz, ein Radiosender, ein Hotel, eine Millionenschwere Geige, den weltgrößten Weinkeller – Kein Preis ist Maurice zu teuer, um Cicely eines Tages zu einer kulturellen Metropole erwachsen zu lassen. Maurice hat ganz klare Vorstellungen von der Rollenverteilung der Geschlechter, hat mehrere Romanzen, kehrt aber immer in den heimatlichen Hafen der rechtbewußten energischen Polizistin Barbara Semanski zurück. Seine große Liebe Shelly Tambo verlor er an seinen besten Freund Holling Vincoeur. Ein echtes Original eben.

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Einer der sympathischsten Bewohner Cicelys ist der verwaiste Halb-Indianer Ed Chigliak. Stets Mini-Jobs bei Maurice oder im Tante-Emma-Laden von Ruth-Anne Miller erledigend, spart er sein Geld für seine künstlerischen Visionen. Ed will nämlich eines Tages ein begnadeter Regisseur werden. Er hat eine Vorliebe für anspruchsvolle Filme, wohingegen ihm das Mainstream-Kino der Gegenwart ein Greul ist. Ed hat einen spirituellen Zugang zur Geisteswelt seines Stammes und begegnet mehreren überirdischen Wesen, die ihn bei der Erfüllung seiner wahren Bestimmung begleiten: Ein Schamane zu werden.

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Holling und Shelly sind das Traumpaar von Cicely, und dass obwohl sie ein Altersunterschied von locker 40 Jahren trennt. Holling ist der Barkeeper von Cicelys Gasthaus „Brick“ und blickt auf eine geradezu wehmütig auf legendäre Vergangenheit mit mythologischer Biografie zurück. Einem französich-kanadischen Adelsgeschlecht entwachsen, sonderte sich Holling früh ab, da seine Familie über Generationen als langlebig und tyrannisch gefürchtet wurde. Er wurde Großwildjäger und erlebte mehrere Konfrontationen mit dem Grizzlybär Jessy. Nach Jessys Tod beschliesst Holling nur noch mit einem Fotoapparat auf Tiere zu zielen. Shelly hingegen kann nicht auf eine derart heldenhafte Vergangenheit zurückblicken; der Höhepunkt ihres Lebens war eine Misswahl, bei der sie Maurice kennenlernte, der sie mit nach Cicely nahm, wo Shelly ihm von Holling ausgespannt wurde. Shelly ist naiv, leichtgläubig, aber sehr überzeugt von ihren Standpunkten. Und trotz dieser Unterschiede ergänzen sich die beiden dennoch hervorragend.

alaska7Es gäbe noch unzählige Charaktere dieser tollen Serie aufzuzählen. Zum Beispiel Adam, den Waldmenschen, das klischeefreie schwule Paar Ron und Erik, den Allergiker Mike Monroe, oder gar die Geheimloge der Söhne der Tundra…. sie alle tragen dazu bei, dass es in Cicely nie langweilig wird. Im Gegenteil: Obwohl die Handlung zu 99% auf das kleine Kaff im Nirgendwo beschränkt ist, erwarten den Zuschauer in 6 Staffeln mit insgesamt 110 Folgen eine Flut an ungewöhnlichen Ereignissen und Ideen. Die Serie durchbricht hin und wieder die Grenzen der Vorstellungskraft, setzt sich mit der Psyche und den Gefühlen der Charaktere metaphysisch auseinander und lässt vor allem immer mal wieder Gaststars im Ort auflaufen. „Ausgerechnet Alaska“ ist damit etwas ganz besonderes in der oft eintönigen Serienlandschaft. Man kann sie ehestens dem Genre der Familienserie zurechnen, aber im Grunde ist sie weit mehr als das. Sie ist eine Ode an das Leben, das Potential und die Kreativität die in jedem Menschen schlummern.

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Es ist eine Auseinandersetzung mit allen Facetten des Lebens. Geburt und Tod, Liebe und Hass, die Gegensätzlichkeiten der Gesellschaft, die uns alle so liebenswert machen. Die Serie macht bewusst, dass es langweilig wäre, in einer Gesellschaft zu leben, die Joel Fleischman sich zurückwünscht, in der alle Leute einem klar vorgezeichneten Weg folgen. „Ausgerechnet Alaska“ stellt die Frage, ob die Welt nicht besser wäre, wenn sich jeder Mensch zu seiner Individualität bekennen würde um unsere Gesellschaft damit zu bereichern.
Mit all ihren Unterschieden lernen die Charaktere im Verlauf der Serie einander zu tolerieren und sich gegenseitig zu bereichern. Und sogar Joel findet kurz vor seinem Abschied von Cicely einen Platz in der Gemeinschaft.

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Weil sie nicht in ein festes Genre zu pressen ist, ist die Serie definitiv nicht für Jedermann geeignet. Viele Liebhaber von festgefahrenen TV-Konventionen wie Sitcoms würden sie gar als langweilig empfinden, weil sie nicht einordnen könnten, ob das nun eine Comedy- oder Drama-Serie sein soll. Meine Antwort lautet: Weder noch und beides zugleich und doch weit darüber hinaus. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung im Jahre 1990 ist die Serie im Kielwasser von „Twin Peaks“ entstanden und macht keinen Hehl daraus. Doch wohingegen in Twin Peaks immer ein düsterer und böser Unterton mitschwingt, ist es in Cicely Heiterkeit und Lernerfolg über das Miteinander-auskommen.

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Aufgrund ungünstiger Programmeinteilung war die Serie bei uns in Deutschland leider nie so groß, wie sie es in Amerika sein konnte. Entweder um Mitternacht bei RTL Plus oder ab der sechsten (!) Staffel im Vorabend bei VOX ist sie hierzulande eher Kennern vorenthalten geblieben. Als Kind der 80er und 90er möchte ich die Serie vor allem auch Leuten ans Herz legen, die das Lebensgefühl der Zeit wieder in sich erwecken wollen, denn die Serie bietet auch unzählige kulturelle Referenzen an die erste Hälfte der 90er Jahre. Der Leser merkt: Ich bin ein Fan. Jetzt fehlt nur noch, dass der Leser sich anstecken lässt, und auch einer wird und Cicely einen Besuch abstattet, den er sein Leben lang nicht vergessen wird.

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