Unbestechlich – Animationskünstler Franz Winzentsen

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Viele Animationskünstler lassen sich brechen! Haben sie zu Anfang noch einen innovativen, schöpferischen und individuellen Drang, werden sie irgendwann infiziert von den Erwartungen des Mainstreams. Großartige Künstler haben sich selbst und ihre Ziele ad acta gelegt und sich begonnen am Massengeschmack zu orientieren. Walt Disney, Don Bluth, Michael Schaack und viele andere haben mal mit wirklich innovativen Titeln angefangen und sich dann irgendwann daran orientiert, was das große Publikum sehen möchte. Wer es nicht tut, wird immer nur einem kleinen aber gewissenhaften Publikum vorbehalten bleiben. Und einer der wenigen, die seit 40 Jahren Filme drehen und sich nicht beeinflußen und brechen lassen, ist Franz Winzentsen!Bild

Ja, ich weiss. Kaum einer kennt ihn, was nicht heisst, dass er nicht kennenswert ist. Vor 20 bis 30 Jahren hatten wir ein richtig tolles Kinderfernsehen. Nicht nur die eingekauften Lizenzen aus dem Ausland waren ambitioniert und großartig, nein, auch die Produktionen des deutschen Fernsehens für die Heranwachsenden waren um einiges anspruchsvoller. Und noch heute bestätigt sich die Qualität der damaligen Produktionen durch die Ansammlung von TV-Erinnerungen der Vergangenheit im Internet. Immer wieder schildern Personen ihre Erinnerungen über Erinnerungsfetzen von Filmen, die sie einst sahen, aber sich nicht zuordnen lassen.

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Nicht selten ist auch mal ein Film von Franz Winzentsen dabei. Viele meinen „Zeichentrick“ gesehen zu haben, dabei hat sich Winzentsen einst auf die Animationstechniken des „Legetricks“ und der „bewegten Grafik“ spezialisiert. Wo und wann hat man das zu sehen bekommen? Zwischen 1976 und 1985 hat Winzentsen mit seiner Frau Ursula über 20 Beiträge für das deutsche Kinderfernsehen in Szene gesetzt. Darüber hinaus ist er ein ambitionierter Künstler, der sich mit allen Techniken des Animationsfilms ausprobiert hat und sowohl fotografiert, als auch Skulpturen anfertigt.

Was aber zeichnet jenen Franz Winzentsen über seine Unbestechlichkeit und seine Unverbiegbarkeit hinweg aus?

winz4Das liegt vor allem in seiner Themenvielfalt, seiner wunderbar trockenen Erzählweise und der liebevoll hölzernen Umsetzung begründet. Auch macht er nicht davor halt, Kinder mit dem Genre der Science-Fiction zu konfrontieren. Da gibt es einen Film von Winzentsen namens „Hin- und Rückfahrt“. Der Film wurde im Rahmen der Sendung „Spass am Dienstag“ gesendet und ist erzählerisch wie eine Möbius-Schleife aufgebaut. Das heisst, ab der Mitte des Films läuft er Rückwärts zum Anfang zurück, wodurch aber ein großes Rätsel des Anfangs aufgelöst wird.

winz6In dem Film „Als die Igel größer wurden“ liefert Winzentsen interessante Ansätze darüber, ob sich eher die Technik im Sinne des Tierschutzes weiterentwickeln sollte, oder ob man Tiere überzüchten sollte um sie zweckmäßiger an ihre Umwelt anzupassen. Dieser Film gewann 1980 sogar beim Deutschen Filmpreis eine silberne Auszeichnung und wird heute noch von vielen Schulen im Rahmen des Unterrichts gezeigt. Thematisch ähnlich, und doch anders, erzählt Winzentsen in „Die Erfindung des Kabeljaus“ eine Geschichte über die Lebensmittel-Industrie der Zukunft, in der man Fische so lange überzüchtet hat, dass sie die „praktische“ Form von Blöcken angenommen haben um besser in die Dose zu passen.

 

winz7In dem Film „Die Bernsteinlibelle“ setzt sich Winzentsen mit Vor- und Nachteilen der Solar-Energie für den Flugverkehr auseinander, verpackt in die sympathische Geschichte einer Freundschaft zwischen einem kleinen Mädchen und einem alten Professor. Dieser Professor ist auch ein alter Bekannter von jenen, die Winzentsens Film „Kanalligator“ gesehen haben. Dort interpretiert Winzentsen die urbane Legende vom die-Toilette-runtergespülten-Krokodilbaby-das-in-der-Kanalisation-zum-Alligator-heranwächst. Interessant bei diesem Film ist, dass er in New York spielt, die Hintergründe der Großstadt allerdings entfremdete Fotografien Hamburgs darstellen.

Einen ganz anderen Ansatz hinterfragt Winzentsen in der Zukunftsgeschichte „Die Schubkarre“, in dem er sich mit der Absurdität von Bestrafungen auseinandersetzt am Beispiel eines ungehorsamen Schülers, der von seiner Lehrerin in eine Schubkarre verwandelt wird.

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Kurzum: Das Repertoire Franz Winzentsens ist enorm! Und neben all jenen tollen Beiträgen für das Kinder- und Jugendprogramm hat Winzentsen auch einen großen Anteil sehr persönlicher Filme gedreht, die er als „Animationstagebuch“ zusammenfasst. Einige davon sind biografisch geprägt, andere widerrum Nonsens-Ideen im Stile Loriots voll von leisem Humor, der einem itellektuellen Publikum vorbehalten ist. Widerrum gibt es einige sehr künstlerisch hochwertige Filme, ohne jeglichen Einsatz von Sprache, die die Interpretation des Zuschauers fordern. „Artsy-Fartsy“ sagt der Kostverächter, ich hingegen nenne es Kunst.

winz8Herumlaufende Baumstümpfe, Nachrichten aus dem Weltall, Wegfliegende Kaffeekannen, Erzählungen aus dem Leben, verdrehte Tatsachen und Mythologien und surreale Landschaften prägen das umfangreiche Werk für den erwachsenen Zuschauer von Winzentsens Machwerk. In seinem Frühwerk „Staub“ lässt er zwei Wolken in einer ausgestorbenen Welt einander jagen und verschmelzen. Diese Staubwolken finden immer wieder Einsatz in Winzentsens Filmen wie „Hin- und Rückfahrt“ oder auch der Kurzgeschichtenkompilation „Der Kleistermann“. In „Die Erlebnisse der Puppe“ lässt Winzentsen eine Figur bestehend aus 5 Elementen durch eine collagierte Endzeitwelt marschieren. In dem Film „Flamingo“ (der rein gar nicht mit seinem Titel inhaltlich zu tun hat) beschert Winzentsen uns eine Reihe von kurzen Animations-Experimenten, wie zum Beispiel eine Lampe, deren Glühbirnen wie Tropfen aus einem leckenden Wasserhahn fallen.

winz10Winzentsen ist im Allgemeinen als Künstler ein Sammler. Er sammelt seit jeher Ideen und Gegenstände und Ideen um jene Gegenstände oder Objekte für das Auge des Zuschauers zu entfremden oder gar zu beseelen. In seiner Biografie offenbart sich, dass er vor seiner Schaffen als Filmkünstler im Bereich des Puppentheaters tätig war. Dieser Bezug ist in vielen seiner Filme zu spüren, wirkt der Legetrick doch stets wie eine Weiterentwicklung des Puppentheaters auf Java.

winz12Winzentsen ist für mich einer der ganz großen Geheimtipps der deutschen Kultur-Szene. Er hat mich als Kind mit seinen Filmen geprägt und auch heute noch bin ich ein großer Anhänger seines Werks. Leider Gottes ist bislang nur eine einzige DVD mit Kurzfilmen von ihm erschienen unter dem Titel „Der Porzellanladen“. Darin enthalten sind vor allem seine Kurzfilme, die sich thematisch und künstlerisch eher an Erwachsene richten. Sein Kinder- und Jugendfilmrepertoire ist jedoch nicht enthalten, hat sich eine Veröffentlichung auf einem der neuen Medien jedenfalls hochgradig verdient!

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Ich könnte noch stundenlang über das Werk dieses Mannes schreiben, dessen bewegte Bilder mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Jedem, dessen Interesse jetzt geweckt worden ist, empfehle ich unbedingt mal einen Blick auf ein paar Filme des Künstlers zu werfen und sich dann für die Anschaffung der DVD „Der Porzellanladen“ zu entscheiden. Darin enthalten sind neben den bereits genannten Filmen auch noch unzählige Interviews und Kommentare zu den Filmen von Winzentsen selbst.

winz9Lasst Euch von Franz Winzentsens Welt verzaubern!

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